Interview mit Stefan Zell, Vorsitzender von BuKi, bei szatmar.ro

Veröffentlicht am 8.7.2021, Link zur veröffentlichten Ausgabe in ungarischer Sprache: Hier

Stefan Zell und Heidi Haller Vorstände von BuKi

Heidi Haller und Stefan Zell

Das in Bad Saulgau in Deutschland lebende Ehepaar Stefan Zell und Heidi Haller, hat im Jahr 2008 das BuKi-Projekt in Cidreag gegründet. Stefan Zell ist in Deutschland im Marketing tätig, Heidi Haller ist selbständige Restauratorin. Vor 10 Jahren haben sie das BuKi-Haus eröffnet, eine Tagesstätte für Roma-Kinder. BuKi nimmt Kinder bei der Hand und führt sie wie über eine Brücke in die Schule. Dank eines tollen Teams konnte BuKi schon viel erreichen.

szatmár.ro: Wie ist BuKi in Cidreag entstanden?

Stefan Zell: Im Februar 2008 hat Heidi Haller einen Bekannten begleitet, der nach Halmeu und in die Region Hilfsgüter brachte. In Cidreag standen sie vor der Kirche, um an bedürftige Menschen Pakete mit Kleidern zu verteilen. Dann trat ein Herr auf sie zu der meinte: „Ich kenne noch einen Ort, wo sie Kleider verteilen können.“ Dieser Herr war John Bogar, der damalige Roma-Boss von Cidreag und er führte sie zu Familien, die im Winter im Plastikverschlag lebten.

Heidi Haller brachte ihre Erlebnisse und Bilder davon zurück nach Bad Saulgau. Dort standen wir zusammen und dachten uns: „Menschen in Europa, die im Plastikverschlag leben und nichts zu Essen haben? – Das können wir so nicht lassen!“ So entstand BuKi in Cidreag.

szatmár.ro: Was waren die ersten Ziele von BuKi? Und was hat sich in den vergangenen 10 Jahren verändert?

Stefan Zell: Nun, zu Beginn haben wir im Kreis unserer Familie Kleider, Schuhe, Decken, Kinderwagen und vieles mehr gesammelt und sind mit einem Transporter zwei, drei Mal im Jahr nach Cidreag gefahren. Im Winter war die Situation sehr hart. Immer wieder sind Frauen bei der Verteilung umgefallen. Sie hatten nichts zu Essen und waren deshalb sehr schwach.

Nach einigen Fahrten haben wir gesehen, dass die Hilfstransporte zwar die Situation der Menschen in ihrer Not verbessert, aber die Struktur der Armut dadurch nicht verändert wurde. Die Menschen gewöhnen sich an die Hilfe und es verändert sich an der Armut nichts. So wollten wir nicht mehr weiterarbeiten.
Doch was konnten wir tun? Wir wollten etwas für Kinder tun. Ihr Schicksal führt sie in nicht akzeptabel Lebensbedingungen ohne eine Chance auf eine bessere Zukunft. 2010 konnten wir ein Haus zwischen dem Roma- und dem ungarischen Viertel in Cidreag mieten. Das war ein großer Zufall und die Geburt des BuKi-Hauses in Cidreag. Im Januar 2011 haben wir mit der Betreuung von Kindern im BuKi-Haus begonnen.

Heute, 10 Jahre später, arbeiten sieben Betreuerinnen und Praktikantinnen im BuKi-Haus, die sich täglich um 45 Kinder und deren Familien kümmern. Dank vieler Spender in Deutschland ist BuKi Eigentümer des Grundstücks und des Hauses und ist staatlich akkreditiert. Wir entwickeln uns hin zu einer Einrichtung mit professionellen Strukturen. Für BuKi ist das ein großer Schritt.

szatmár.ro: Wie kann man sich einen Tag im BuKi-Haus vorstellen? Und was leistet BuKi neben der Arbeit in einer Tagesstätte für die benachteiligten Kinder?

Stefan Zell: Der Tag im BuKi-Haus beginnt um 7.00 Uhr mit dem Wecken der Kinder. In vielen Familien ist nicht bekannt, was Zeit ist. Etwa 15 BuKi-Kinder würden ohne diese Unterstützung die Schule nicht erreichen. Parallel dazu bereitet unsere Hauswirtschafterin das Frühstück der Kinder vor. Nach dem Frühstück im BuKi-Haus, gehen die Kinder zur Schule, kommen nach der Schule ins BuKi-Haus zurück und werden nachmittags pädagogisch betreut.

BuKi unterstützt die Kinder und fordert etwas von ihnen. Nur wenn die Kinder die Schule besuchen, dürfen sie ins BuKi-Haus kommen. BuKi versteht sich wie eine Brücke, wir nehmen die Kinder bei der Hand, federn ihre sozialen Hürden ab und begleiten sie zur Schule.

Während die Kinder in der Schule sind, besucht unsere Koordinatorin die Mütter und Familien zu Hause. Mit einem breiten Angebot an sozialen Hilfen versuchen wir die Kinder und Familien zu stabilisieren.

Die Tagesstruktur und Regeln im BuKi-Haus sind für die Kinder sehr wichtig, sie geben ihnen Halt. Mit BuKi erreichen mehr Roma-Kinder die Schule, mehr Kinder bleiben länger in der Schule und mehr Kinder schließen die Schule mit der achten Klasse ab. Das ist sicherlich unser wichtigster Beitrag in der Schulbegleitung der Kinder.

Am 30.7.2021 beginnt unser 5. BuKi Kindersommer Cidreag – Kökényésd. Bei dem wir alle Kinder der beiden Gemeinden herzlich einladen an einem der 28 Programme für Kinder teilzunehmen. Unsere Idee ist, dass Bürger der Gemeinden ein Programm für ihre Kinder gestalten. Gleichzeitig kommen die Roma-Kinder im Spiel mit anderen Kindern in Kontakt. Der Kindersommer ist ein großer Erfolg. Seit fünf Jahren sind fast alle Programme ausgebucht.

szatmár.ro: Welchen Herausforderungen mussten sich die Initiatoren von BuKi stellen?

Stefan Zell: Neue Herausforderungen gab es vor 10 Jahren und die gibt es auch heute noch –jeden Tag. Vielleicht waren wir zu Beginn ein wenig naiv. Wir dachten: „Gib den Kindern etwas zu Essen, begleite sie zur Schule und hilf ihnen beim Lernen, dann haben die Kinder eine Chance.“ Genau das haben wir gemacht und genau diese Hilfe war nicht so erfolgreich, wie wir uns das wünschten.

So vielfältig wie die soziale Frage im Roma-Viertel ist, so vielfältig sind auch die Herausforderungen, vor denen wir stehen. In den Vordergrund rücken bei BuKi die soziale Arbeit, soziale Grundsicherung, Familienhilfen und lebenspraktische Bildung. Erst wenn die Kinder sozial stabilisiert sind, kann an Schulbildung gedacht werden.

szatmár.ro: Wie hat die damalige Gemeinde in Cidreag auf BuKi und ihre Chancen reagiert? Waren sie offen? Und in welchem Verhältnis stehen sie heute zur Arbeit ihres Vereins?

Stefan Zell: Bis heute finanziert sich BuKi fast ausschließlich über Spenden. BuKi benötigt Öffentlichkeit, um die Arbeit mit den Kindern im BuKi-Haus zu finanzieren. Wir zeigen somit außerhalb des Ortes Lebensverhältnisse, die man normalerweise nicht in der Öffentlichkeit zeigen würde. Das ist manchen Menschen unangenehm, man spricht über die Verhältnisse im Ort nicht – man verbirgt es und schweigt. Schweigsam war zu Beginn auch das Verhältnis zwischen BuKi und der Gemeinde.

Doch wenn man über Dinge, die das Zusammenleben belasten nicht spricht, dann wird sich in Zukunft auch nichts verändern. Dabei eröffnen sich gerade mit NGOs, die an der Schnittstelle zwischen dem Roma-Viertel und der Gemeinde oder der Schule tätig sind, viele Möglichkeiten. Mentale Grenzen öffnen sich, die zuvor geschlossen waren. Roma und Nichtroma kommen miteinander ins Gespräch, die sich bisher nicht getroffen haben. Die Gemeinde kommt in Bewegung. Das wird im Umfeld von BuKi sichtbar.

Wir sind sehr froh, dass heute unsere Koordinatorin sowie die Betreuerinnen im BuKi-Haus in einem kontinuierlichen Austausch und vertrauensvollem Verhältnis zum Bürgermeister und der Verwaltung, der Schuldirektorin, der Mediatorin und den Pädagogen in der Schule stehen. BuKi versteht sich als fester Bestandteil der Gemeinde und trägt mit seinem Programm zu einer größeren Teilhabe der Roma am Gemeindeleben bei. Das wäre ohne eine enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde nicht möglich.

Unterstützung erhalten wir auch aus der Bevölkerung von Cidreag und der Umgebung. Von einem Landwirt in der Nachbarschaft erhalten wir Kartoffeln, vom anderen Gemüse. An Weihnachten haben 45 Kinder Weihnachtsgeschenke erhalten, die von Menschen aus Cidreag und Kökényésd für unsere Kinder gespendet wurden. Das freut uns alle sehr! Vom Bauernverband in Satu Mare erhielten wir als Spende 1,4 t (!) Mehl. Das Mehl haben wir bei einem Bäcker gegen eine tägliche Lieferung von frischem Brot eingetauscht. Aus dem Weihnachtsmarkt der Ham-Janos-Schule in Satu Mare erhielten wir eine Spende mit Lebensmittelgutscheinen. Was für tolle Gesten! BuKi ist in Cidreag angekommen und unsere Arbeit wird von der Bevölkerung angenommen. Das ehrt uns sehr!

Frauentag im BuKi-Haus

szatmár.ro: Wie bewerten Sie die Ergebnisse der letzten Jahre, wurden die anfangs gesetzten Ziele erreicht?

Stefan Zell: Die Vision von BuKi ist, Kinder mit Bildung aus der Armut zu führen. Gleichzeitig erleben wir, dass nicht alle Menschen die Hilfen die BuKi anbietet auch annehmen können. Viele Roma, mit denen wir sprechen, wünschen sich für Ihre Kinder ein besseres Leben. Viele Roma wissen aber nicht, mit welchem Aufwand gute Bildung verbunden ist.

Die Lebenswelten der Roma, vor allem aber die frühe Gründung von Familien, stehen einer guten Schul- und Berufsausbildung der Kinder und Jugendlichen direkt im Weg. In Cidreag wird deutlich, dass die Teilhabe der Roma an Bildung und die Chance auf eine qualifizierte Beschäftigung unmittelbar mit einem Wandel in der Roma-Lebenswelt verbunden sind.

Teilhabe geht nicht ohne Teilnahme. Teilhabe an Bildung, Teilhabe an qualifizierten Jobs und Teilhabe an einem menschenwürdigen Leben setzt die regelmäßige Teilnahme am Unterricht in der Schule voraus. In Cidreag stehen die Türen der Schule für die Roma-Kinder offen. Die Kolleginnen von BuKi nehmen sie bei der Hand und begleiten sie auf ihrem Weg.

Mit BuKi haben mehr Kinder den Einstieg in die Schule geschafft, mit BuKi verweilen mehr Kinder länger in der Schule und mit BuKi schließen mehr Kinder mit der achten Klasse die örtliche Schule ab. Das ist in jedem Fall BuKis großer Erfolg.

Gleichzeitig setzt eine höhere Teilhabe an Bildung eine Veränderung innerhalb der Roma-Lebenswelten voraus. Dieser kulturelle Wandel ist von heute auf morgen nicht zu haben.

szatmár.ro: Inwiefern hat die Pandemie die Vereinsarbeit erschwert? Wie haben Sie es geschafft, auch in dieser Zeit mit den Kindern in Kontakt zu bleiben?

Stefan Zell: Die Corona-Pandemie hat die Arbeit bei BuKi völlig verändert. Über ein Jahr lang waren wir zwischen der Schließung des Hauses, humanitärem Notbetrieb und Online-Schooling tätig. Ein großer Dank geht in diesem Zusammenhang an unsere Kolleginnen, die sich in dieser schwierigen Situation sehr engagiert um die in Not geratenen Kinder gekümmert haben.

Ende März 2020, das BuKi-Haus war bereits wegen der ersten Corona-Welle geschlossen, haben wir erfahren, dass in vielen der von BuKi betreuten Familien nichts mehr zu Essen vorhanden war. Seit 10 Jahren ernähren wir die Kinder von Januar bis Dezember im BuKi-Haus und wegen der Corona-Pandemie sollen sie hungern? Das war für uns nicht akzeptabel. Deshalb haben wir im April 2020 mit einer Lebensmittelnothilfe in Cidreag begonnen. Über neun Wochen haben wir bis zu 250 Personen mit Lebensmittel versorgt.

Gleichzeitig haben wir einen Spendenaufruf in Deutschland gestartet, um Laptops für das Online-Schooling der Kinder zu organisieren. Viele Kinder haben über Wochen die Schule nicht erreicht. Mit unserer Notbetreuung konnten wir wenigstens ein paar Kinder unterstützen.

szatmár.ro: Welche Pläne hat BuKi nach zehn Jahren Erfahrung für die kommenden Jahre?

Stefan Zell: Heidi Haller und ich werden Ende Juli wieder nach Cidreag aufbrechen. Wir haben bereits weit über 50 Fahrten von Bad Saulgau nach Cidreag in das BuKi-Haus unternommen. Und wir freuen uns noch immer auf die Menschen vor Ort, vor allem aber die Kinder, die trotz ihres oft sehr schwierigen sozialen Umfelds, an Lebensfreude nicht zu überbieten sind. Gleichzeitig sind wir sehr dankbar, dass unsere Kolleginnen und Kollegen einen achtsam, wertschätzend und emphatischen Umgang mit den Menschen im Roma-Viertel pflegen. Die Arbeit mit den Kindern und Erwachsenen im BuKi-Haus ist sehr wertvoll und macht Sinn. Ohne diese gemeinsame Einstellung und Haltung ist die Arbeit im Roma-Viertel nicht zu machen.

Immer mehr Roma-Familien vertrauen ihre Kinder BuKi an. Das spricht für die Arbeit unserer Betreuerinnen und ehrt uns sehr. Doch mit knapp 45 Kinder läuft das BuKi-Haus über dem Limit. Unsere Sanitären Einrichtungen, die Küche oder die Betreuungsräume müssten dringend renoviert, vergrößert und an den Bedarf angepasst werden.

Nach 10 Jahren BuKi in Cidreag sehen wir im humanitären Bereich den dringenden Bedarf nach einer Notaufnahme für Frauen und Kinder. Darüber hinaus können wir uns sehr gut Programme in den Bereichen der Jungendhilfe, Hilfen beim Berufseinstieg der Arbeitsmigration oder im Bereich des Empowerments von Roma bzw. Gemeindeentwicklung im Roma-Viertel vorstellen.

BuKi fehlt es nicht an Ideen, vielmehr fehlt es an der Finanzierung. In Cidreag treffen wir auf viele tolle Kinder und Familien, sie haben auch weiterhin unser Engagement verdient. Daran wollen wir in jedem Fall festhalten.