Kinderarmut, Was ist Kinderarmut, Ursachen von Kinderarmut, Folgen von Kinderarmut

Kinderarmut und was dagegen unternommen werden kann.

Kinderarmut im Roma-Viertel

Ursachen, Folgen und Maßnahmen wie Kinderarmut bekämpft werden kann

Autoren: Stefan Zell und Charline Wagner

I. Kinderarmut, Einleitung

Kinderarmut unter den Roma in Osteuropa ist ein brisantes gesellschaftliches Problem. Tausende Kinder sind von prekären Lebensverhältnissen betroffen. So war dies 2008 auch im Dorf Cidreag in Rumänien, wo BuKi mit seine Hilfen für die Roma im Ort begonnen hat.

Die Entwicklungs- und Zukunftschancen in Armut lebender Kinder werden durch mangelnde Ernährung und Gesundheitsvorsorge, widrigen Wohnverhältnissen und vernachlässigte Bildung massiv beeinträchtigt. Die Auswirkungen können ganze Generationen prägen.

Seit einigen Jahren entwickelt sich das Roma-Viertel in Cidreag mit einer hohen Dynamik. Die Anzahl an Familien in prekären Lebenssituationen hat deutlich abgenommen. Verschiedene Ebenen ermöglichen diese positive Entwicklung: In der Arbeitsmigration eröffnen sich auskömmliche Tätigkeiten, der Staat und die Gemeinde verbessern die Infrastruktur im Viertel, mit BuKi erreichen deutlich mehr Kinder die Schule und Kinder und Familien in sozialen Schieflagen werden unterstützt.

Von entscheidender Bedeutung ist, dass alle Akteure Politik und Gesellschaft, NGOs und die Roma selbst gemeinsam handeln, um der Kinderarmut entgegenzuwirken und gerechte Zukunftschancen für alle Kinder schaffen.

II. Roma

Die Roma-Gemeinschaft ist sehr vielfältig. Es gibt nicht nur ‚arme‘ Roma, deren Lage hier besprochen wird. Als Teil der Gesellschaft leben viele Roma –in Rumänien, Deutschland und ganz Europa – mit erfolgreich durchlaufenem Bildungsweg und etablierten Tätigkeiten unter uns, ohne dass sie als Roma wahrgenommen werden. Ihr Leben im Verborgenen ist vielfach notwendig, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit im Alltag mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert würden.

Hier beschreiben wir Situationen wie sie im ländlichen Umfeld von BuKi in Erscheinung treten. Sie sind selbstverständlich nicht repräsentativ für alle Roma in Europa. Sie sind aber sehr wohl charakteristisch für Roma in Rumänien und Osteuropa, die unterhalb der Armutsgrenze in prekären Situationen leben.

III. Was ist Kinderarmut, Definition

Ob ein Kind in Armut aufwächst oder nicht, wird in erster Linie von der Einkommens- und Lebenssituation der Eltern bestimmt.

Kinderarmut wird von vielen ökonomischen und sozialen Faktoren beeinflusst. Sie wird dabei als absolut bezeichnet, wenn ein Kind etwa ganz real an Hunger leidet und damit konkret in seiner Existenz gefährdet ist. Als relativ kann Kinderarmut beschrieben werden, wenn Kinder im Verhältnis zum Wohlstand in der Gesellschaft unterversorgt sind.

BuKi hat 2008 seine Arbeit in Cidreag/Rumänien aufgenommen, weil die vorgefundenen Armutsverhältnisse der Kinder und Familien alles übertrafen, was wir bis dato gesehen hatten. Viele Familien und deren Kinder waren unmittelbar in ihrer Existenz bedroht. Aus Deutschland und Europa waren uns vergleichbare Lebenssituationen in diesem Ausmaß nicht bekannt.

IV. Ursachen von Kinderarmut

Kinderarmut steht immer im Zusammenhang mit Familienarmut. Die wesentlichen Ursachen und Risiken von Armut in Familien können sein:

  • Arbeitslosigkeit
  • Gering bezahlte oder nicht auskömmliche Erwerbstätigkeit
  • Alleinerziehende Elternteile
  • Geringes Bildungs- und Ausbildungsniveau
  • Gesellschaftliches Umfeld, Diskriminierung, Ausgrenzung und Ausbeutung
  • Überschuldung und falscher Umgang mit Geld, falsche Lebensentscheidungen
  • Schwierige, beengte Wohnverhältnisse
  • Soziale Situation, körperliche und sexualisierte Gewalt, Drogenmissbrauch
  • Individuelle (Psychische) Krankheiten
  • Der Umgang und die Wahrnehmung der individuellen Lebenssituation. Fehlende Wertschätzung, Schuldzuweisungen, Scham, Selbstausgrenzung
  • Zeitpunkt, Dauer und Ausmaß von Armut

Meist liegen die Ursachen der Familien- und Kinderarmut in mehreren der oben genannten Faktoren begründet. Sie wirken wie ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist.

V. Folgen von Kinderarmut

Ein durch Armut begrenzter Zugang zu einer angemessenen Ernährung, medizinischer Versorgung und zu Bildung oder anderen grundlegenden Leistungen gerade in der Entwicklungsphase von Kindern, hat langfristige Konsequenzen für ihr Leben und geht oft mit sozialer Ausgrenzung, Stigmatisierung“ einher. (UNICEF 2021)

Durch die eingeschränkten Möglichkeiten ihrer Entwicklung sind die Zukunftsaussichten der von Armut betroffenen Kinder beeinträchtigt. Das Aufwachsen in Armut ist ein zentrales Kriterium für einen Mangel an Bildungs- und gesellschaftlicher Teilhabe. Kinderarmut und die damit verbundene soziale Ungleichheit begünstigen Bildungsarmut und erhöht wiederum die Gefahr von materieller Armut.

Das Leben in Armut, so wie wir es im BuKi-Umfeld wahrnehmen, ist eintönig. Die vor allem im frühen Kindesalter wichtigen Entwicklungsimpulse fehlen. Gleichzeitig wirkt der tägliche Kampf um die pure Existenz und das widrige Lebensumfeld der Familien auf die Kinder traumatisierend. An eine regelmäßige Teilhabe an Bildung ist in diesem Kontext nicht zu denken.

VI. Leben unterhalb der Armutsgrenze, Roma-Familien in Rumänien

Von den rund zwei Millionen in Rumänien lebenden Roma, befinden sich 40% unterhalb der Armutsgrenze. Ihre Lebenserwartung liegt 15 Jahre unter dem Durchschnitt der rumänischen Bevölkerung. An diesen Statistiken scheint sich über die Jahre kaum etwas zu verändern.

Leben unterhalb der Armutsgrenze – wir sprechen oft von prekären und super prekären Lebensverhältnissen – heißt, dass die soziale Grundsicherung der Menschen aus Ernährung, Kleidung, Hygiene, Gesundheit und Wohnen nicht gewährleistet ist. Das Leben am Rande der Existenz ist mit hohen Spannungen in den Familien verbunden, die an den Kindern nicht spurlos vorübergehen.

Vor allem im ländlichen Raum leben viele Roma in kleinen Elendshütten, wir haben auch Plastikverschläge erlebt. Diese Behausungen bestehen aus einem kleinen Raum in den zwei Betten passen und in dem sich ein Roma-Ofen befindet. Es gibt kein fließendes Wasser und damit kein Bad, kein WC und keine Küche. Je nach Situation können die Hütten auch größer und stabiler ausfallen, mit einem kleinen Vorraum, häufig mit Strom, manchmal mit Wasser aus einer Wasserpumpe.

Die Betten werden von mehreren Personen geteilt, die Jungs schlafen beim Vater, die Mädchen bei der Mutter. Im Bett werden auch die ganzen Habseligkeiten der Familie aufbewahrt. Manchmal ist noch ein Schrank im Zimmer. Tische und Stühle findet man selten vor, dazu sind die Räumlichkeiten meist zu eng.

Die Mutter kocht an einem kleinen holzbeheizten Ofen aus Blech. Er dient gleichzeitig als Herd. Die Kochutensilien sind überschaubar. Nicht für jedes Familienmitglied sind Teller und Besteck vorhanden. Zu den Mahlzeiten sitzt die Familie auf den Betten, die Mutter reicht von der Pfanne weg einen Teller, der in der Runde durchgereicht wird. Grundnahrungsmittel sind in jedem Fall Kartoffeln und Kraut. Diese Nahrungsmittel sind relativ günstig und dennoch, in vielen Familien unterhalb der Armutsgrenze nicht ausreichend vorhanden.

Es ist ein besonderer Moment, wenn wir morgens im Viertel die Kinder wecken. Die Familie liegt auf zwei Betten verteilt im dunklen Zimmer. Wir sprechen die Kinder an, die dann über die Geschwister hinweg aus dem Bett krabbeln. Sie brauchen sich nicht lange umzuziehen, denn ihre Kleider tragen sie bereits am Leib. Das Waschen an einem Kübel mit Wasser ist schnell erledigt. Die Mädchen legen oft Wert auf das Kämmen ihrer langen Haare, das kann dann ein wenig Zeit in Anspruch nehmen. Anschließend begleiten wir die Kinder zum BuKi-Haus, wo sie vor ihrem Weg zur Schule noch frühstücken können und ein Vesper bekommen.

Das Lebensumfeld der Kinder ist karg. Wo sind die Spielsachen, Bälle, Malstifte, Fahrräder, Bastelsachen, Bücher – nicht vorhanden. Auch aus dem Lebensumfeld kommen nicht die Impulse, die für die Entwicklung kleiner und größerer Kinder so wichtig sind. Wo machen Kinder ihre Hausaufgaben, wenn es keinen Tisch im Zimmer gibt und vor allem keinen Ort, an dem die Schulmaterialien aufbewahrt werden können?

Bis vor wenigen Jahren war die Mehrzahl der Roma im BuKi-Umfeld als Tagelöhner*innen bei im Ort ansässigen Landwirten tätig. Sie verrichteten einfache Arbeiten, auf den Feldern, als Erntehelfer und Hirten. Trotz der häufig langen Arbeitszeiten reichen die Löhne kaum zum Überleben. In der Landwirtschaft gibt es zwischen April und Oktober, vor allem zur Erntezeit sehr viel Arbeit. Zwischen November und März jedoch ist für die Mehrzahl der Tagelöhner nichts mehr zu tun. Ihnen bricht das Einkommen weg und damit ihre Lebensgrundlage. In vielen Familien gibt es in dieser Zeit kaum etwas zu essen, die Kinder sind unterernährt oder hungern.

Dieser Rhythmus aus bescheidenem Wohlstand und Hunger hat über Jahrzehnte das Leben vieler Roma im Viertel bestimmt. Eine spürbare Veränderung im Viertel trat ein, als immer mehr Menschen als Arbeitsmigranten ins europäische Ausland gegangen sind. Sie nehmen Tätigkeiten als Erntehelfer, auf dem Bau oder in der Fleischindustrie an. Das im Ausland erwirtschaftete Geld fließt zurück ins Viertel und wird dort in renovierten und größeren Häusern sichtbar.

VII. Die Ursachen von Kinderarmut im Roma-Viertel

Warum ist die bittere Armut innerhalb der Roma in Rumänien so hoch? Das liegt einerseits an der tiefgreifenden Diskriminierung und Ausgrenzung innerhalb der Gesellschaft und gleichzeitig an den Roma-Lebenswelten die ihrerseits, je nach Ausprägung, einem Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe entgegenstehen.

7.1. Diskriminierung und Ausgrenzung

Die Ablehnung von Roma ist in großen Teilen der rumänischen Gesellschaft verinnerlicht. Der Rassismus ist daher nicht nur in rechten Kreisen, sondern in allen sozialen Ebenen präsent und reicht von der Politik, Verwaltung, dem Gesundheits- und Sozialsystem bis in Institutionen wie Banken und Geschäfte. Wenn jemand als Roma zu erkennen ist, das mag am Aussehen, am Namen oder einer einschlägigen Adresse liegen, dann sind die Chancen auf eine gleichwertige Behandlung deutlich eingeschränkt.

Die über Jahrhunderte bestehende Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma ist ein zentraler Punkt in der Armutsspirale: Die Menschen werden von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt, erhalten keine auskömmlichen Arbeitsstellen, die Teilhabe an Bildung und dem gesellschaftlichen Leben ist eingeschränkt, das Leben findet abgeschottet in bitterer Armut statt und führt wiederum zur Ausgrenzung und Diskriminierung.

7.2. Roma-Lebenswelten

Roma leben meist völlig getrennt von der ‚weißen‘ Mehrheitsgesellschaft. Zwischen den Ethnien gibt es nur wenige Kontakte. Kaum ein ‚Weißer‘ betritt jemals das Roma-Viertel.

Je nach Konstellation nehmen die Roma-Lebenswelten teils erheblich Einfluss auf die Chancen zur Teilhabe und Gleichstellung von Roma in der Gesellschaft. Das soll an einigen Beispielen erläutert werden:

  • In Rumänien liegt der Berufseinstieg junger Menschen nach der 11 Klasse und absolvierter Schul- und Berufsausbildung im Alter von rund 17 Jahren. Nicht selten finden sich junge Paare im Roma-Viertel im Alter von 13,14, 15 Jahren. Mit Hilfe der Eltern bauen sie ihre kleine Hütte, gründen eine Familie, suchen Arbeit, kümmern sich um die ersten Kinder. In dieses Lebensmodell passt keine bürgerliche Bildungswelt, die 11 Jahre Schul- und Berufsausbildung und anschließend den Berufseinstieg vorsieht.
  • Viele Roma im Viertel sind Analphabeten. Wenn nicht klar ist, was 8.00 Uhr ist, wie soll dann ein Kind regelmäßig um 8.00 Uhr in der Schule sein?
  • Vor allem Frauen aber auch Männer haben bis auf die Felder rund um den Ort, auf denen sie als Tagelöhner*innen tätig sind, nicht viel von der Welt gesehen. Nur wenige Personen verfügen über ein Fahrrad oder Auto und sind mobil. Die Distanz zum Arzt, zur Bank oder zu einer Behörde ist kaum zu schaffen. Beim Arzt oder einer Behörde angekommen, gibt es Öffnungszeiten, Formulare die ausgefüllt werden müssen, benötigt man Dokumente, werden Gebühren fällig, ist es notwendig mehrmals dort hinzugehen. Für Frauen und Männer im Armutskontext sind diese Hürden nicht zu schaffen.
  • Die über Jahrzehnte währende Ausgrenzung und negativen Erfahrungen mit staatlichen Institutionen haben zu enormen Vorbehalten und Ängsten vieler Roma gegenüber jeglicher Form öffentlicher Institutionen geführt: Etwa Polizei und Schulen, öffentlichen Verwaltungen und Ämtern; aber auch Ärzte und Banken. Bei einigen Roma ist der Zugang zu diesen Einrichtungen schlicht ein Tabu.
  • Das Roma-Viertel ist von sozialen Hierarchien und Machtkonstellationen geprägt, die die Armut im Viertel und die soziale Ausgrenzung der Menschen verstärken und nicht lindern.

VIII. Armut in Wirkungskreisläufen

Von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt und isoliert, in ihrer eigenen Lebenswelt gefangen: So setzt sich der über Jahrhunderte währende Kreislauf der Ablehnung und Ausgrenzung fort.

Die Ursachen für Armut im Viertel sind sehr vielfältig und komplex. In Wirkungskreisläufen lässt sich das Phänomen der Armut anschaulich beschreiben. Hier einige Beispiele:

-> Armutsspirale: Die Menschen werden von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt, erhalten keine auskömmlichen Arbeitsstellen, die Teilhabe an Bildung und dem gesellschaftlichen Leben ist eingeschränkt, das Leben findet abgeschottet in bitterer Armut statt und führt wiederum zur Ausgrenzung und Diskriminierung.

-> Teilhabe an Bildung: Die Roma-Verbände halten fest, dass Roma-Kinder in der Schule diskriminiert werden, die Klassen segregiert und die Kinder nicht jene Bildung erfahren, wie gleichaltrige Kinder der Mehrheitsgesellschaft. Aus dem Umfeld der Schule ist zu hören, dass Roma-Kinder die Schule nicht pünktlich, oder überhaupt nicht besuchen und unvorbereitet in Schule kommen. So kann nicht unterrichtet werden. Das eine Phänomen folgt dem anderen und umgekehrt.

-> Teilhabe an medizinischen Leistungen: Viele Roma-Frauen in unserem Umfeld haben in ihrem Leben nicht viel mehr gesehen als die Felder rund um Cidreag. Die Fahrt mit dem Bus oder dem Zug in die nächst größere Stadt ist ihnen fremd. Beim Arzt gibt es Sprechstunden, man muss sich vorab anmelden, Formulare ausfüllen, häufig gibt es Folgetermine. Gleichzeitig werden Roma gerade bei Ärzten häufig diskriminiert und einfach fortgeschickt. Für Frauen, die nicht lesen und schreiben können sind diese Hürden nicht zu meistern.

Der Armut im Roma-Viertel kann entgegengetreten werden. Dies wird möglich, wenn es gelingt, die Faktoren der Wirkungskreisläufe systematisch zu unterbrechen.

IX. Maßnahmen gegen Kinderarmut

Armut vor allem aber Kinderarmut kann bekämpft werden! Das wird im Roma-Viertel von Cidreag sichtbar. Die Lage in Cidreag hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Diese positive Entwicklung ist drei Aktionsebenen geschuldet: dem Arbeitsangebot im europäischen Ausland, den Aktivitäten der Gemeinde und der sozialpädagogischen Begleitung durch BuKi.

9.1 Europäischer Arbeitsmarkt – Arbeitsmigration

Der aktuelle ökonomische Aufschwung im Roma-Viertel in Cidreag ist dem europäischen Arbeitsmarkt geschuldet. Die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften führt viele Roma als Arbeitsmigranten ins europäische Ausland. Dort arbeiten sie etwa beim Gurkenanbau in Bayern, in der Schweinezucht in Niedersachsen, bei der Tomaten- und Paprikaernte in Belgien und der Fleischindustrie in Holland.

Das Roma-Viertel in Cidreag prosperiert. Denn das von den Roma im Ausland verdiente Geld fließt zurück ins Viertel. Dort werden an vielen Stellen die Häuser renoviert oder es werden neue Häuser gebaut. Auch verbessert sich die Lage im Roma-Slum. Sukzessive weichen die Elendshütten kleinen besser gebauten Häusern.

Mit der Arbeitsmigration entstehen aber auch neue soziale Risiken. Denn die Gefahr der Ausbeutung in der Arbeitsmigration ist sehr hoch. Gleichzeit handelt es sich meist um prekäre bzw. befristete Arbeitsverhältnisse.

Darüber hinaus ist im BuKi-Haus von insgesamt 45 Kindern bei etwa 30 Kindern mindestens ein Elternteil im Ausland tätig. Dabei kommt es vermehrt zu sozialen Schieflagen. Besonders hoch wird die Belastung für Kinder dann, wenn eine wichtige Bezugsperson oder beide Elternteile eine Tätigkeit im Ausland annehmen. Häufig sind diese Kinder in der Schule und dem BuKi-Programm nicht mehr zu halten. Das ist bitter.

9.2 Die Gemeinde und der Staat

Das Roma-Viertel wird bei Infrastrukturmaßnahmen der Gemeinde Porumbesti und Cidreag berücksichtigt. Das ist in Osteuropa nicht selbstverständlich. Im Roma-Viertel in Cidreag sind die Straßen geteert und beleuchtet, die Menschen verfügen über Strom, verlegt wurden auch Trink- und Abwasserleitungen, ebenso kommt die Müllabfuhr regelmäßig ins Viertel. Das Roma-Viertel in Cidreag ist nicht abgehängt, sondern gleichwertiger Teil der Gemeinde. Mit Investitionen des Staates in die Infrastruktur wird die Lebensqualität der Roma-Familien und ihrer Kinder deutlich verbessert.

9.3 Leistung von BuKi

BuKi unterhält nahe des Roma-Viertels in Cidreag eine Kindertagesstätte – das BuKi-Haus. Dort stehen die soziale Grundsicherung der Kinder, Familienhilfen, humanitäre Hilfen, eine kontinuierliche Tagesstruktur der Kinder, lebensnahe Bildung und selbstverständlich auch, die Schulpädagogische Begleitung im Fokus der Kolleginnen. BuKi gibt vielen Kindern Schutz, Geborgenheit und menschliche Wärme.

BuKi nimmt die Kinder und Familien im Roma-Viertel bei der Hand, baut ihre sozialen Hürden ab und führt sie wie über eine Brücke aus ihren Roma-Lebenswelten in die örtliche Schule und in die rumänische Gesellschaft. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist ein respektvoller Umgang und eine wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe.

Wenn sich im Viertel spürbar etwas verändern soll, dann geht dies nur auf einer persönlichen Ebene. Die Gemeindeverwaltungen, Jugendämter und Schulen können dies nicht in dem Umfang leisten, wie es notwendig wäre. Deshalb sind NGOs bzw. deshalb ist die Arbeit von BuKi in Cidreag so wichtig.

Manche Roma benötigen auf den Wegen außerhalb des Viertels, etwa zum Arzt, in die örtliche Verwaltung, in die Schule Begleitung. Mit der Unterstützung durch BuKi erreichen die Menschen überhaupt erst die Institutionen und deren Leistungen. Gleichzeitig schützt unsere Anwesenheit und Betreuung vor Diskriminierung.

Mit Hilfe des Programms von BuKi nehmen die Kinder regelmäßig am Unterricht der Schule teil. Diese Arbeit zeigt Wirkung: Mit BuKi hat sich die Teilhabe von Roma-Kindern an Bildung deutlich erhöht. Es kommen mehr Kinder regelmäßig zur Schule, mehr Kinder lernen Lesen, Schreiben und Rechnen, mehr Kinder schließen die achte Klasse ab.

Trotz der insgesamt positiven Entwicklungen im Viertel sind auch weiterhin rein humanitäre Hilfen für Familien in schwierigen Lebenssituationen notwendig. Noch immer geraten während der Wintermonate einige Familien in existentielle Notlagen. BuKi unterstützt sie mit Lebensmitteln, Brennholz und Kleidern.

X. Fazit

Es gibt sie, die Wege aus der Armut von Kindern und Familien. Am Beispiel des Roma-Viertels in Cidreag wird dies deutlich. Das Viertel profitiert von einem ökonomischen Aufschwung, der durch besser bezahlte Tätigkeiten in der Arbeitsmigration im europäischen Ausland erreicht wird.

Damit jedoch ist das Ziel die Bekämpfung von Armut noch lange nicht erreicht. Denn der Aufschwung im Rahmen prekärer Arbeitsverhältnisse ist äußerst fragil. Den befristeten Tätigkeiten im europäischen Ausland folgen nicht automatisch weitere Beschäftigungsverhältnisse. Die Menschen kehren von ihrer Arbeit im Ausland ins Viertel zurück und wissen oft nicht wann und wie es weitergeht.

Entscheidend für nachhaltig bessere Lebensverhältnisse ist, dass die Menschen den Sprung in gut bezahlte und sichere Arbeitsverhältnisse schaffen. Das ist nur über Bildung und berufliche Qualifizierung möglich. Im Roma-Viertel gibt es dafür die ersten Beispiele. BuKi ist dieser Schritt mit dem ersten jungen Erwachsenen im Roma-Viertel gelungen.

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